Reisebericht

Mit dem Velomobil über die Alpen – 2800 Kilometer in 17 Tagen

Aus: velomobiel.nl

Allewedertour nach Italien

VON YMTE SIJBRANDIJ

Als Flevobike-Mitarbeiter habe ich seit etwas mehr als einem Jahr einen „Firmenalleweder“, ein geradezu „historisches“ Exemplar, wurde doch hiermit noch der 365-Tage-Fahrradpreis gewonnen. Zusammen mit meinen Kollegen Theo und Allert pendeln wir jeden Tag zwischen Lelystad und Dronten (zweimal 20 Kilometer). Nun sagen viele Leute, klar, in der Ebene des Flevopolders mit seinen kerzengeraden Radwegen und dem permanenten Wind, da sei ein Alleweder natürlich genau das richtige, aber sonst....? Ich selber habe seine Vorzüge unbedingt auch in der Stadt schätzen gelernt, aber eine Urlaubsreise mit Bergen und Gepäck, wie würde das sein?

 

Ich wollte einen nach Italien emigrierten Freund besuchen, Magliano Alpi war unser Reiseziel (100 Kilometer südöstlich von Turin). Theo wollte sich dieser Herausforderung stellen und so begannen die Vorbereitungen. Uns war klar, dass wir wohl ein paar extra Gänge und eine zusätzliche Hinterradbremse gut würden brauchen können. Also haben wir kurzerhand das 65er Kettenblatt gegen „normale“ 42/52 Kettenblattgarnituren ausgetauscht und hinten eine 3x7 Quarz-Nabe mit Scheibenbremse und 12-28 Kassette eingebaut. Auf einem 20“ Hinterrad ergibt das einen Entfaltungsbereich von 1,6m - 8, 7m. Die Scheibenbremse sorgt dafür, dass die Wärmeentwicklung beim Bremsen dem Reifen nicht gefährlich werden kann. Nachdem wir neue Reifen aufgezogen hatten, Reservereifen, Speichen und Flickzeug eingepackt hatten, waren die Räder klar zur Abfahrt.

Kommt man mit 50 Kilo Gesamtgewicht noch vom Fleck?

Zuhause konnten dann noch Schlafsack, Zelt und Campingausrüstung verladen werden, so dass am Ende zwei Alleweder mit einem beladenen Gesamtgewicht von ca. 50 Kilo bereitstanden. Kommt man damit noch vom Fleck? Antwort: Ja, und zwar erstaunlich gut! Am ersten Tag fuhren wir gleich bis nach Köln. Am nächsten Tag setzten wir dann unserer „Rheinreise“ fort, auf diese Weise gab es jedenfalls keine Orientierungsprobleme wobei leider häufiger die Radwege in Hafen- oder Industrieanlagen unvermittelt endeten und auch nicht überall ausreichend breit waren, so dass so manche Dame, die eine gemütliche Radtour machte, sich zu Tode erschreckte, wenn wir überholten. Die meisten Leute reagierten jedoch sehr positiv auf unser Erscheinen, wobei uns allerdings viele verdächtigten, einen Motor eingebaut zu haben.

Später folgte ein gerader und langweiliger Radweg nach Basel, doch der starke Nordwind half uns schnell über dieses Stück hinweg. In der Schweiz fuhren wir am Murtensee vorbei und ein Stück über die Strecke der Europameisterschaften '94 von Laupen.

Ein Berg von 800 Meter ist ein Hügelchen

Nach dem ersten „Hügelchen“ (800 Meter) sausten wir runter zum Genfer See, Geschwindigkeiten von jenseits der 80km/h fingen schon an, uns ziemlich normal vorzukommen. Bei Montreux fanden wir einen schönen Campingplatz direkt am See, leider war es im September schon zu kalt zum schwimmen. Ein Motorradfahrer ließ es sich nicht nehmen , uns vor Schnee auf den Bergpässen zu warnen....

Und dann kam der große Tag: die „Erstbesteigung“ des großen St. Bernhardpasses (2500 m) per Alleweder. Theo hatte plötzlich Schmerzen im Knie und seine Achillessehne sah auch nicht so blendend aus, aber wir fuhren trotzdem los. Die ersten 40 km nach Martigny (von 300 m nach 700 m) gingen recht zähflüssig und mühsam. Also haben wir erst mal kräftig Kalorien nachgestopft und sind erst dann weitergefahren. Inzwischen wurde die Straße auf dem Weg zum Tunneleingang (2000m) immer steiler und es war schon etwas seltsam in den endlosen schrägen Haarnadelkurven mit 8 km/h schief zu hängen. Theo hatte wieder Mut gefasst, wir mussten nur noch 7 km und 600 Höhenmeter erklimmen bis zum Gipfel. Hierbei zeigten sich dann die ganz besonderen Qualitäten eines Dreirades, kann man doch auch bei 6km/h immer noch ohne hin und herzuschwanken einigermaßen entspannt fahren, solange man nur die richtige Übersetzung dazu hat. Auf halbem Wege sprach uns ein belgisches Ehepaar noch etwas Mut zu und nach gut einer Stunde erreichen wir den Gipfel. Auf die Fragen der per Auto reisenden Touristen antworteten wir, dass doch alles halb so wild sei, was es ja auch war.

Von gebratenen Bremsbelägen und knisternden Speichen

Und dann die Abfahrt: Gut geschützt sausten wir die inzwischen schon im Schatten liegende Passstraße hinunter als es plötzlich anfing, nach gebratenen Bremsbelägen zu riechen, und woher kam dieses tickende Geräusch? Kurz mal anhalten! Die Bremstrommeln schienen glühend heiß zu sein und die Speichen verursachten das Geräusch eines abkühlenden Automotors.

Ymte Sijbrandij (r.) auf der SPEZI 2008 in Germersheim   Foto: M. Erz

Die Lösung dieses Problems war jedoch schnell gefunden: Kurz die Radscheiben demontiert und wir konnten wieder „vollgas“ nach unten. In solchen Situationen ist Allewederfahren wirklich etwas ganz besonderes! Mit Geschwindigkeiten zwischen 60 km/h und 95 km/h rasten wir nach Aosta. Das Ehepaar eines „Alimentari“ wo wir unsere Abendeinkäufe erledigten verursachte einen Menschenauflauf, als sie mit vielen italienischen Ah's und Oh's unsere Räder bewunderten.

Durch das malerische Aostatal kamen wir zwangsläufig nach Turin, unterwegs fuhren wir noch eine Weile mit einer Gruppe italienischer Radrennfahrer zusammen, auf den Abfahrten konnten wir ihnen immer abhauen, aber auf den dazugehörigen Anstiegen sahen wir sie jedesmal wieder. Turin ist natürlich, wie erwartet, ein Irrenhaus von Fiats, Rollern und Mofas, es gelang uns jedoch, ohne größere Blessuren einen Weg durchs Verkehrgewimmel zu finden. Doch was war das da hinter uns? Ein Panda der Polizia öffnete sein Seitenfenster und eine äußerst sympatische Polizistin bedeutete uns, anzuhalten. Unser Alleweder wurden einer technischen Kontrolle unterzogen, ohne Motor ist jedoch alles erlaubt! Am Abend eines langen Tages kamen wir dann in Magliano Alpi an. Eine Dusche und die nachfolgende Pastamahlzeit wirkten Wunder. Mein inzwischen sehr „italienischer“ Freund, mit dem ich in Holland noch sehr viel geradelt bin, hatte auch nichts kapiert:“ Schönes Autochen, aber warum baut ihr keinen Motor ein...?“.

Italien begrüsst uns begeistert

Nach sieben Tagen und 1350 km tat ein Ruhetag schon gut, wir besuchten den Markt in Mondovi und nach einem kleinen Fußbad im Bach war dieser „radlose“ Tag auch schon wieder vorbei. Am nächsten Tag brachen wir bei strahlendem Wetter und kühlem Nordwind aus den Bergen schon früh auf Richtung Lago Maggiore. Sonntags unternehmen viele Italiener eine Radtour und so wurden wir überall begeistert begrüßt. Selbst zwei nette Mädels hielten noch für uns an, aber wir mussten leider weiter- am nächsten Tag erwartete uns St. Gotthard!

Der Anstieg zum St. Gotthard ist ziemlich lang. Vom tiefsten Punkt in der Schweiz (Locarno, 270m) muss man auf einer Strecke von 100 km auf 2150 m hochfahren. Nicht besonders steil, 7 Prozent aber endlos lang. Die heutige Straße führt durch den Tunnel, aber auf der alten lässt sich hervorragend rad fahren. Obwohl die Abfahrt nicht besonders steil ist, nur ca. 5 Prozent fuhren wir auf der dreispurigen Straße schon bald über 90 km/h, bei 95 km/h fing ich an zu bremsen, aber Theo wollte die magischen 100 km/h knacken. Leider wurde es schon wieder kurviger, so dass er nicht schneller als 98,5km/h wurde, bevor auch er bremsen musste. Beim Kartenlesen hatte ich mir vorgenommen, am nächsten Tag die Drei-Pässe-Tour Grimsel-Furka-Susten zu machen. Da vor der endgültigen Abfahrt kein Campingplatz mehr zu finden war, beschlossen wir, uns den Luxus einer Hotelübernachtung zu gönnen.

Die 100 km/h-Rekordmarke will einfach nicht fallen

Theo ruhte sich einen Tag lang aus, ich hatte eine schlechte Nacht, denn unter einer dreimal so dicken Schweizer Winterdecke ist es schon ganz schön warm, wenn man einen dünnen, alten Schlafsack gewohnt ist. Das Wetter ist traumhaft. Die 14 km und 900 Höhenmeter zum Sustenpass dauerten anderthalb Stunden. Der Unterschied beim Bergauffahren mit und ohne Gepäck ist viel kleiner als erhofft, ich fuhr vielleicht einen Kilometer schneller pro Stunde. Dabei hatte ich noch vergessen, meinen Schlafsack auszuladen. Die Abfahrt war atemberaubend, wobei die Gewissheit, das alles (und noch mehr) wieder hoch zu müssen ein wenig ernüchternd wirkte.

Die Bezwingung des Grimselpass kostete schon mehr Mühe, aber ich kam schon hoch. Bei der Abfahrt vom Grimselpass hat man eine phantastische Aussicht auf den Rhône-Gletscher. Auf dem Weg zum Furkapass mit seinen 14 Prozent Steigung auf den letzten Kilometern benutzte ich zum ersten Mal den kleinsten Gang der 3x7 Nabe, aber unter 7km/h ist die Geschwindigkeit nie gesackt. Nach einer Abfahrt ohne Leitplanken, dafür aber mit Zäunen deren Balken auf Augenhöhe liegen, traf ich Theo im Tal wieder. Gemeinsam fuhren wir endgültig abwärts zum Vierwaldstättersee. Nach 140 km und 3400 m Höhenunterschied war ich endlich vom Kribbeln in meinen Beinen erlöst, ich hatte sogar Mühe, Theo zu folgen. Als mitten beim Kochen das Benzin alle war sackte die Laune bedrohlich, aber glücklicherweise konnte Theo, in dem er aus den 18 Zapfpistolen der Tankstelle in der Nähe jeweils noch drei Tropfen rauswringen konnte, genügend beisammen hamstern, um die Maccaroni noch genießbar zu machen.

10 Grad bedeuten im Velomobil immer noch kurze-Hosen-Wetter

Die Rückreise durch Frankreich, Luxemburg und Belgien verlief zügig und problemlos, nur die französische Polizei ließ es sich ebenfalls nicht nehmen, unsere Fahrzeuge zu kontrollieren. Dafür waren sie sich aber auch nicht zu schade, uns zu einem Campingplatz zu eskortieren. Dass das Wetter inzwischen garn icht mehr so berühmt war, ließ uns einigermaßen unberührt, 10 Grad Celsius heißt im Alleweder immer noch „Kurze-Hosen-Wetter“.

Müde und „ausgepowert“ kamen wir nach 17 Tagen und 2800 Kilometern wieder in Lelystad an, um am nächten Tag gleich wieder nach Dronten zur Arbeit zu pendeln.

Die Reise im verkleideten Dreirad hat uns bestens gefallen, beim Bergauffahren und Beschleunigen merkt man natürlich, dass man mehr Gewicht mit sich herumträgt, aber mit einem guten Übersetzungsbereich und etwas Geduld kommt man überall hoch. In einem Dreirad kann man man nämlich so langsam fahren wie man will, ohne umzufallen. Bergabfahren ist sowieso phantastisch in so einem Gefährt, und da man auf allen drei Rädern bremsen kann, ist die Bremsleistung trotz der höheren Geschwindigkeit und des höheren Gewichts viel größer als bei allen Zweirädern. Dadurch fühlt man sich im Alleweder (relativ) sicher. Der Schutz gegen schlechtes Wetter ist ganz bestimmt in der Nachsaison ein großes Plus, man kann auch im September ohne aufwendige Schlechtwetterkleidung ohne Probleme die Alpen überqueren. Ob wir nächstes Jahr wieder fahren? Na klar, aber dann mit dem C-Alleweder!

(Übersetzung Peter Kreuder)                                            zurück